Biggi exaltiert: Unterschied zwischen den Versionen

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(Kurzbeschreibung)
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Reflexive Auseinandersetzung mit der Bedeutung von Rollen und Film für Schauspieler und die fiktiven Charaktere
 
Reflexive Auseinandersetzung mit der Bedeutung von Rollen und Film für Schauspieler und die fiktiven Charaktere
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Biggi und Marie im Tabakladen. Beide sortieren Zigaretten ein.
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BIGGI: Ich habe in dieser Merz-Akademie mal einen Schauspielkurs gegeben. Dann haben die mich gefragt, ob ich eine Rolle spielen kann für eine Webisode. Ja klar, habe ich gesagt, mit Studenten was machen macht immer Spaß. Aber wenn das eine Serie sein soll, und zwar im Internet abrufbar, also vernetzt - und darauf kommt es ja auch an nach deren Papier: mit den dramaturgischen Konsequenzen zu experimentieren, die die Interaktivität der Netzmedien mit sich bringt - also, wenn das eine Serie sein soll, die im Internet abrufbar ist, kann das dann seriell sein, also eins nach dem anderen kommen? Was spielt Zeit dann noch für eine Rolle, frage ich mich, ist Zeit dann noch WERDEN VON MÖGLICHKEITEN oder nur noch ZERFALL VON EREIGNISSEN oder nicht vielleicht sogar eher beides gleichzeitig: simuliertes Werden und simulierter Zerfall von sich ereignenden Möglichkeiten in ihrer informatorischen Verdopplung? Und wie ist das dann für mich als Schauspielerin - ich meine, ich soll mich doch EINFÜHLEN, ich habe ja einen KÖRPER, nicht wahr, eine gewisse Leiblichkeit: Atem-Stimme, Haut-Körper, ich muss ja schließlich inkorporieren und übertragen, alles zeitlich organisierte Parameter und diese dann unter den schon erwähnten Bedingungen betrachtet: simuliertes Werden und simulierter Zerfall von sich ereignender Leiblichkeit in ihrer informatorischen Verdoppelung: wo bleibt denn da die ÜBERTRAGUNG?
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BIGGI:  Dann habe ich eine Art
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Figurenbeschreibung gekriegt, lies doch mal vor Marie, du bist schließlich hier um zu arbeiten.
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MARIE: (liest von einem Zettel
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ab) Biggi - Figurenbeschreibung: Biggi ist Mitte 40. Sie betreibt einen Tabakladen in der Nähe des Stuttgarter Hauptbahnhofs. Biggi ist eine resolute Frau, die das Leben kennt und sich so schnell nichts vormachen lässt. Sie hat das gewisse Etwas, das man "Ausstrahlung" nennt. Einen Glanz, der sie von den anderen Menschen abhebt, der bewirkt, dass man sie nicht vergisst, dass man sie gern hat. Gleichzeitig etwas Burschikoses, das sich einerseits in Fürsorglichkeit oder einer gewissen Mütterlichkeit äußern kann, andererseits in einer Unnachgiebigkeit, Härte, wenn nicht Unbarmherzigkeit. Biggi ist der Meinung, dass jeder Mensch für sich selber verantwortlich ist und dass diese Eigenverantwortlichkeit nicht früh genug in Anspruch genommen werden kann. Gleichzeitig räumt Biggi jedem Menschen das Recht ein zu straucheln, eine Wut gegen die Existenz zu schieben, Depressionen ertragen zu müssen - Biggi weiß, dass diese Welt nicht richtig eingerichtet ist. Dabei ist es ihrer Meinung nach nicht nur die "Gesellschaft", die verlogen, falsch und ungerecht eingerichtet ist, sondern darüber hinaus die Schöpfung selbst, um deren provisorische Gepfuschtheit Biggi ein tiefes Wissen hat. Von Gott hat sie dementsprechend (wie von Männern allgemein) keine sehr hohe Meinung, was sie aber nicht davon abhält, ihn (wie alle Männer) nützlich und unter Umständen unterhaltsam zu finden. Biggi hat eine Vergangenheit im "Milieu": sie hat etliche Jahre als Prostituierte gearbeitet, sich dann rechtzeitig abgeseilt und den Weg in die bürgerliche Gesellschaft zurück gefunden.
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Aus dieser Zeit rührt die Lebensweisheit und Unkorrumpierbarkeit Biggis, aber auch ihre Illusionslosigkeit gegenüber der Moral von Menschen, die über Macht verfügen. Status und gesellschaftliche Stellung bedeuten ihr nichts. Sie behandelt den Obdachlosen mit demselben Respekt wie den Bankmanager, bzw. den letzteren genauso respektlos wie den ersteren. Ihr Laden ist ihr Territorium, da lässt sie sich von niemandem reinreden. Kunden, die ihr komisch kommen, z.B. gewisse Regeln des Anstandes, über die sie eisern wacht, verletzten, werden gnadenlos aus dem Laden geworfen und auch in Zukunft nicht mehr bedient. Auf Grund ihres phänomenalen Gedächtnisses, ihrer Menschenkenntnis und der o.g. Eigenschaften ist Biggi jemand mit Bedeutung, eine Person, zu der man gerne kommt, die lustig ist und und ist ihr Tabakladen über den reinen Verkauf von Tabakwaren bzw. Lotto/Toto-Geschäften hinaus ein Treffpunkt im Viertel, wenn nicht eine Institution.
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Marie lässt den Zettel sinken und schreit in die Kamera
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HALLO? EX-HURE? TABAKLADEN? KLISCHEE?
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BIGGI: Das stellt man sich dann so vor,
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eine BACKSTORY zu machen, die Schlüsse zulässt über die GEWORDENHEIT der Gegenwart meiner Figur, und wenn die ausgedachte Vergangenheit dann ordentlich INTENSIV ist und EXTREM stellt man sich vor, dass die Gegenwart meiner Figur mehr Möglichkeiten hat, weil sie BRÜCHE impliziert, Narben in der Entwicklung der Person, Risse im Kontinuum der IDENTITÄT, um die herum sich die Persönlichkeit entwickeln muss, Löcher, die Biggi in sich hineinwachsen ließ und die zum Skelett ihres Ichs wurden und das Biggi-Ich wird dann zum Panzer, der als falsches Bewusstsein sich nur damit beschäftigt die Löcher zu schützen.
  
 
== Beteiligte ==
 
== Beteiligte ==
  
 
Leon
 
Leon

Version vom 25. Oktober 2010, 11:24 Uhr

Protagonisten

Marie, Biggi, Günther

Kurzbeschreibung

Reflexive Auseinandersetzung mit der Bedeutung von Rollen und Film für Schauspieler und die fiktiven Charaktere

Biggi und Marie im Tabakladen. Beide sortieren Zigaretten ein.

BIGGI: Ich habe in dieser Merz-Akademie mal einen Schauspielkurs gegeben. Dann haben die mich gefragt, ob ich eine Rolle spielen kann für eine Webisode. Ja klar, habe ich gesagt, mit Studenten was machen macht immer Spaß. Aber wenn das eine Serie sein soll, und zwar im Internet abrufbar, also vernetzt - und darauf kommt es ja auch an nach deren Papier: mit den dramaturgischen Konsequenzen zu experimentieren, die die Interaktivität der Netzmedien mit sich bringt - also, wenn das eine Serie sein soll, die im Internet abrufbar ist, kann das dann seriell sein, also eins nach dem anderen kommen? Was spielt Zeit dann noch für eine Rolle, frage ich mich, ist Zeit dann noch WERDEN VON MÖGLICHKEITEN oder nur noch ZERFALL VON EREIGNISSEN oder nicht vielleicht sogar eher beides gleichzeitig: simuliertes Werden und simulierter Zerfall von sich ereignenden Möglichkeiten in ihrer informatorischen Verdopplung? Und wie ist das dann für mich als Schauspielerin - ich meine, ich soll mich doch EINFÜHLEN, ich habe ja einen KÖRPER, nicht wahr, eine gewisse Leiblichkeit: Atem-Stimme, Haut-Körper, ich muss ja schließlich inkorporieren und übertragen, alles zeitlich organisierte Parameter und diese dann unter den schon erwähnten Bedingungen betrachtet: simuliertes Werden und simulierter Zerfall von sich ereignender Leiblichkeit in ihrer informatorischen Verdoppelung: wo bleibt denn da die ÜBERTRAGUNG?

BIGGI: Dann habe ich eine Art Figurenbeschreibung gekriegt, lies doch mal vor Marie, du bist schließlich hier um zu arbeiten.

MARIE: (liest von einem Zettel ab) Biggi - Figurenbeschreibung: Biggi ist Mitte 40. Sie betreibt einen Tabakladen in der Nähe des Stuttgarter Hauptbahnhofs. Biggi ist eine resolute Frau, die das Leben kennt und sich so schnell nichts vormachen lässt. Sie hat das gewisse Etwas, das man "Ausstrahlung" nennt. Einen Glanz, der sie von den anderen Menschen abhebt, der bewirkt, dass man sie nicht vergisst, dass man sie gern hat. Gleichzeitig etwas Burschikoses, das sich einerseits in Fürsorglichkeit oder einer gewissen Mütterlichkeit äußern kann, andererseits in einer Unnachgiebigkeit, Härte, wenn nicht Unbarmherzigkeit. Biggi ist der Meinung, dass jeder Mensch für sich selber verantwortlich ist und dass diese Eigenverantwortlichkeit nicht früh genug in Anspruch genommen werden kann. Gleichzeitig räumt Biggi jedem Menschen das Recht ein zu straucheln, eine Wut gegen die Existenz zu schieben, Depressionen ertragen zu müssen - Biggi weiß, dass diese Welt nicht richtig eingerichtet ist. Dabei ist es ihrer Meinung nach nicht nur die "Gesellschaft", die verlogen, falsch und ungerecht eingerichtet ist, sondern darüber hinaus die Schöpfung selbst, um deren provisorische Gepfuschtheit Biggi ein tiefes Wissen hat. Von Gott hat sie dementsprechend (wie von Männern allgemein) keine sehr hohe Meinung, was sie aber nicht davon abhält, ihn (wie alle Männer) nützlich und unter Umständen unterhaltsam zu finden. Biggi hat eine Vergangenheit im "Milieu": sie hat etliche Jahre als Prostituierte gearbeitet, sich dann rechtzeitig abgeseilt und den Weg in die bürgerliche Gesellschaft zurück gefunden. Aus dieser Zeit rührt die Lebensweisheit und Unkorrumpierbarkeit Biggis, aber auch ihre Illusionslosigkeit gegenüber der Moral von Menschen, die über Macht verfügen. Status und gesellschaftliche Stellung bedeuten ihr nichts. Sie behandelt den Obdachlosen mit demselben Respekt wie den Bankmanager, bzw. den letzteren genauso respektlos wie den ersteren. Ihr Laden ist ihr Territorium, da lässt sie sich von niemandem reinreden. Kunden, die ihr komisch kommen, z.B. gewisse Regeln des Anstandes, über die sie eisern wacht, verletzten, werden gnadenlos aus dem Laden geworfen und auch in Zukunft nicht mehr bedient. Auf Grund ihres phänomenalen Gedächtnisses, ihrer Menschenkenntnis und der o.g. Eigenschaften ist Biggi jemand mit Bedeutung, eine Person, zu der man gerne kommt, die lustig ist und und ist ihr Tabakladen über den reinen Verkauf von Tabakwaren bzw. Lotto/Toto-Geschäften hinaus ein Treffpunkt im Viertel, wenn nicht eine Institution. Marie lässt den Zettel sinken und schreit in die Kamera HALLO? EX-HURE? TABAKLADEN? KLISCHEE?

BIGGI: Das stellt man sich dann so vor, eine BACKSTORY zu machen, die Schlüsse zulässt über die GEWORDENHEIT der Gegenwart meiner Figur, und wenn die ausgedachte Vergangenheit dann ordentlich INTENSIV ist und EXTREM stellt man sich vor, dass die Gegenwart meiner Figur mehr Möglichkeiten hat, weil sie BRÜCHE impliziert, Narben in der Entwicklung der Person, Risse im Kontinuum der IDENTITÄT, um die herum sich die Persönlichkeit entwickeln muss, Löcher, die Biggi in sich hineinwachsen ließ und die zum Skelett ihres Ichs wurden und das Biggi-Ich wird dann zum Panzer, der als falsches Bewusstsein sich nur damit beschäftigt die Löcher zu schützen.

Beteiligte

Leon