Netz-Psychologie
Im vor allem auf der Tonebene bemerkenswerten Film „The Exorzist“ (William Friedkin, USA 1973) wird der 12-jährigen (und wie sich später herausstellen wird, vom Teufel besessenen) Regan in der Klinik von dem Psychiater Ritalin verschrieben. Die Therapie schlägt nicht an, im Gegenteil: Danach ist der Dämonenkanal in den Mädchenkörper geöffnet. Vielleicht könnte man sagen, dass neue Medien auch neue psychische Störungen favorisieren: der Photographie als das indexikalische Medium, das die Pose vom Körper löst und auf ein Stück Papier klebt, entspräche dann die Hysterie. Dem Film als dem präsentischen und immateriellen Lichtmedium, das mit visuellen Splittern und akusmatischen Stimmen die Bewusstseine besetzt, entspräche dann die Psychose, und dem Device/Internet-Komplex als Medium zweiter Ordnung der Vernetzung und Simulation von anderen Medienmöglichkeiten das Krankheits-Bild ADHS. Dann konnte die Medikation Regans mit Ritalin nur schiefgehen: Es war für diese Störung und dieses Medium einfach das falsche Medikament.
Vielleicht müsste man aber auch, um diese Argumentation weiterzuverfolgen, anders herum das, was sich als Störung von Wahrnehmung in die Diagnose schreibt, als spezifische „Medienkompetenz“ untersuchen: „Norbert Wiener once suggested shaking a machine in case it did not work (…). The children diagnosed (…) with ADHD might just be shaking themselves in order to distill perceivable objects out of the masses of data that make up images on the internet.“
Die Verkopplung der Schüttelrezeption mit den Datenbanken produziert dann manchmal Botschaften, die sich in Datenbanken wie Wahrnehmungen selbstständig machen, Botschafts-Entitäten, die ohne Senderintention im Möglichkeitsraum der Datenbanken wie der Wahrnehmung aus den Augenwinkeln und zwischen Tür und Angel schwirren : Internet-Meme Botschafts- und Verhaltens-Viren, Parasiten-Informationen, die den Sender selber zu ihrem Kanal machen.
Wir haben in der Filmgeschichte selber Hinweise auf Möglichkeitsräume von narrativen Netzen gefunden. Und darin zeigt sich auch, wie sehr jeder Prozess einer Remediation kein teleologischer Vorgang ist, der schlicht „alte“ Medien in „neuen“ simuliert, bis sich eigene Formen in den „neuen“ Medien herausgebildet haben, sondern dass das Verhältnis komplexer ist, dass nicht immer klar ist, welches Medium das simulierende und welches das simulierte ist.
Einen Hinweis fanden wir im Verschwörungsfilm der 70er Jahre, zu nennen wären dabei „Three Days of the Condor“, Sidney Pollack, USA 1975, „The Conversation“, Francis Ford Coppola, USA 1974, und als deutsches Beispiel „Welt am Draht“, RW Fassbinder, D 1973. Allen drei Filmen ist gemein, dass sie von und durch Medien handeln, bei Pollack ist es Literatur und Fotografie, bei Coppola Soundaufnahmen und deren Bearbeitung, bei Fassbinder die virtuelle Realität eines Großrechners. Alle drei Filme konstruieren mit unterschiedlichen Mitteln paranoide Kaskaden von Geschichten hinter Geschichten, Geschichten, die dazu konstruiert werden, um andere Geschichten zu kontrollieren, Geschichten, die nicht zu Ende geführt werden und die die narrativen Ränder des jeweiligen Filmes ausfransen lassen und offen halten.
Ein weiterer wichtiger Hinweis waren einige Filme des Horrorgenres um die Jahrtausendwende, zu nennen wären dabei „The Ring“ als Remake von Gore Verbinski, USA 2002, „The Others“ von Alejandro Amenábar, 2001, „Rec“, Jaume Balagueró, Spanien 2007, oder „The Sixth Sense“, M. Night Shyamalan, USA 1999. Auch in diesen Filmen tauchen Medien in unterschiedlichen narrativen Implementierungen auf; die genannten Filme behandeln die Abgründe der Medien aber weniger in ihrer hypermedialen Verschachtelung als in ihrem paramedialen Realen. Es geht um die Grenzen dessen, was überhaupt bezeichen- und repräsentierbar ist, um das Reale der lebenden und toten Körper.