Stuttgart12 - langer Text

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Stuttgart12: Immaterialität der Bilder und Materialität der Orte

Beschreibung

Das Projekt untersucht in einer Kombination aus praktischer Anwendung und theoretischer Untersuchung das Phänomen der Übertragung audiovisueller Inhalte (mit dem Ursprung Kino) auf unterschiedliche Medien und ihre „Hyperwerk“-Vernetzung.

Grundlage des Projektes ist die Konstruktion eines narrativen Netzes auf Multimedia-Basis, das zum Gegenstand „Stuttgart“ als Stadt, als Objekt von Planungsprozessen und als Zukunft, Gegenwart, Vergangenheit von Subjektivitätsprozessen hat. Studentische inszenierte und dokumentarische Kurzfilme sowie Expanded-Cinema-Installationen und Live-Veranstaltungen sollen zu einem System integriert werden: Analog zur Deleuz'schen Dichotomie von „Gehirn“ und „Erde“ mittels einer Hyper-Werk-Vernetzung auf einer Internetplattform einerseits (mentale Verknüpfung) und mittels eines Verlassens des Kinos, dem Abspielen oder Abrufen an verschiedenen, konkreten Orten der Stadt andererseits (geographische Verknüpfung).

Die Einzelteile dieses Projektes sind zwar in sich geschlossene Werke, beziehen sich aber auf verschiedenen Ebenen aufeinander. Dabei wird auf das Phänomen der Internet-Serien Bezug genommen (Genaueres zum Thema Internet-Serien s. o.), deren Hyper-Werk-Verknüpfung in zwei narrativen Dimensionen verlaufen kann: erstens anhand der narrativen Fortschreibung innerhalb des diegetischen Raumes der Narration und zweitens anhand von Kommentierungen, Antworten, Parallelwerken mit Durchbrechung des diegetischen Raumes.

Schwerpunkt des beschriebenen narrativen Netzes sind zwei parallel geführte Serien, von denen eine die Tendenz zum Dokumentarischen und eine die Tendenz zum Inszenierten hat. Diese Tendenzen sind auch genau als solche zu verstehen, als formale und inhaltliche Orientierungen. Grundsätzlich wird zwischen den Gattungen „Dokumentar-“ und „Spiel-Serie“ nicht unterschieden. Die beiden Serien sind zwar Stränge, die für sich stehen können, zusammen gedacht mit dem oben beschriebenen Vernetzungsgrad haben sie jedoch die Funktion von Polen eines heterogenen diegetischen Raumes.

Denkbar wäre z. B. die Etablierung bestimmter Figuren, die in den unterschiedlichen Kontexten wieder auftauchen und somit zwischen Werk und Werk springen. Es entstehen in diesem Projekt Filme in einer Verknüpfungsstruktur, die von vornherein die ZuschauerIn als konstitutives Element mitdenken: die Einbeziehung und Untersuchung von Öffentlichkeit und damit eine gewisse Prozessualität und Durchlässigkeit der Werkgrenzen ist für dieses Projekt maßgeblich. Es geht also von vornherein nicht nur um die „Inhalte“ und „Themen“ der Filme sondern auch um die Fragen „wie erzeuge ich Öffentlichkeit für meine Filme?“, „wie erweitere ich die Diegese auf den Raum der ZuschauerIn?“ oder „wie provoziere ich Stellungnahmen oder physische Handlungen der ZuschauerIn?“.

In der Erweiterung des diegetischen Raumes könnten z. B. Figuren zwischen den inszenierten Filmen springen, als Kunstfiguren in den dokumentarischen Filmen auftauchen oder als reale Personen in den Live-Aktionen. Eine auf Inszenierungen beruhende Science-Fiction-Internet-Serie könnte als Rahmenhandlung dokumentarischer Untersuchungen dienen, dieser diegetische Sprung wieder rückgekoppelt werden indem die dokumentarische Beschäftigung mit der Stadt auch die Produktionsbedingungen der Science-Fiction-Serie untersucht.


Theoretische Fragen

Das Projekt berührt zahlreiche theoretische Fragen, die für die Erforschung der Zone zwischen Film und Neuen Medien relevant sind:

1) Materialität des Bildes: Wo „Kino“ nicht mehr notwendigerweise Flackern, Korn, synchrones Einzelbild ist und „Fernsehen“ nicht mehr notwendigerweise Flimmern, Zeile und diachrones Signal, wo die Residuen beider Kulturtechniken als „Anwendungen“ oder „Contents“ auf der Leinwand, dem TFT-Bildschirm, dem Smartphone angeschaut werden können, stellt sich der Filmtheorie das Problem, das „Gleiche“ in den Griff zu kriegen, das medienontologisch unterschiedlich übertragen wird, ohne in einen alten idealistischen Bildbegriff zurückzufallen.

2) Grenze des Bildes: Deleuze schrieb, dass das digitale Bild kein hors champ mehr habe. Wo audiovisuelle Inhalte „auf“ dem Computerbildschirm „in“ einem „Fenster“ neben anderen angeschaut werden, wird die alte Dichotomie der Filmtheorie „Fenster“ vs „Rahmen“, Realismus vs Konstruktivismus, phänomenologisch vs formgebend kurz: Kracauer vs Arnheim in den Hintergrund geschoben und mutiert zu einer möglichen Anwendung unter anderen.

3) Durchlässigkeit der Werkgrenzen: Wo „Öffentlichkeit“ nicht nur als Publikum eines Werkes, sondern als konstituierender Bestandteil eines solchen gesucht wird, stellen sich Fragen nach der Durchlässigkeit der Werkgrenzen und der Offenheit der Komposition − theoretische Fragen, die an Positionen der interventionistischen Kunststrategien der siebziger und neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts anknüpfen.


Projektablauf

Das Projekt wird in zwei Phasen durchgeführt und läuft über einen Zeitraum von zwei Jahren. Eine Beteiligung der Akademie Schloss Solitude - Stipendiaten ist in diesem Projekt vorgesehen. Im ersten Jahr wird das Konzept der Serien und der Hyper-Werk-Struktur recherchiert, konzipiert und erprobt. Das narrative Netz wird in seinen strukturellen Grundlagen geknüpft, die Projektplattform (s. u. bei Projekt 2.5.3: Reverse Remediation) wird in Hinsicht ihr Technik-, Vernetzungs- und Usability-Potenzial überprüft. Erste „Piloten“, Knotenphasen, werden gedreht, geschnitten und miteinander verknüpft. Die beiden Pole „dokumentarisch“/„inszeniert“ (s. o.) werden in ihrer Serialität und Verknüpfung so weit entwickelt, gedreht und nachbearbeitet, dass die Grundlagen der Hyper-Werk-Vernetzung geschaffen sind. Ziel der ersten Phase ist die Akkumulation einer kritischen Masse an „Content“. Am Ende der ersten Phase erfolgt eine Präsentation der Projektergebnisse in Zusammenhang mit einer Veranstaltung, in der die o. g. theoretischen Fragen diskutiert werden.

Im zweiten Jahr erfolgt die Ausweitung auf die Öffentlichkeit. Der virtuelle Raum der Projektplattform wird in den konkreten, physischen, öffentlichen Raum interpoliert. Diese zweite Phase hat, als Thematisierung und Einbeziehung des Faktors Öffentlichkeit, einen erheblich prozessualeren Charakter.

Phase 1: 1. Recherche Status Quo Internet-Serien & Multimedia-Anwendungen (8.-9. Monat) 2. Konzeption „Narratives Netz“ (10.-11. Monat) 3. Dreharbeiten, Produktion, Nachbearbeitung & Vernetzung -> Plattform (12.-20. Monat) 4. Präsentation & Diskussion (inkl. Vorbereitung) (21.-22. Monat)

Phase 2: 1. Konzeption mediale Geografie (20.-21. Monat) 2. Konstruktion von Öffentlichkeit 1/Dreharbeiten/Produktion/Vernetzung (22. Monat) 3. Dreharbeiten, Produktion, Nachbearbeitung, Vernetzung (23.-25. Monat) 4. Konstruktion von Öffentlichkeit 2/Dreharbeiten/Produktion/Vernetzung (26.-29. Monat) 5. Präsentation & Diskussion (inkl. Vorbereitung) (34.-35. Monat)