Kompression

Aus S12 Wiki
Wechseln zu: Navigation, Suche


„Film“ als Medium, das Bewegungen und Bilder optochemisch speichert und überträgt, funktioniert ja grundsätzlich so, dass fotografische Einzelbilder stroboskopisch auf eine Leinwand projiziert werden. Zwischen dem einen und dem nächsten Einzelbild muss der Film transportiert werden, und während des Transports des Filmstreifens muss die Projektion unterbrochen werden, was zur Folge hat, dass wir in der Hälfte der Zeit während der Projektion einer optochemischen Filmkopie im Dunkeln sitzen. Die psychotechnischen Konsequenzen sind an anderer Stelle (Ute Holl: Kino, Trance & Kybernetik, Berlin 2002) erforscht worden. Das ist mit dem elektronischen Film (bzw. Fernsehen) schon anders, vor allem aber mit dem digitalen Film: Im postfilmischen Kino gibt es keinen mechanischen Bildtransport mehr, sondern eine „framed time“, keinen flicker, sondern tendenziell eine fortwährende Mutation innerhalb eines feststehenden Rahmens.

Projektion

"Film" als Medium, das Bewegungen und Bilder optochemisch speichert und überträgt funktioniert ja grundsätzlich so, dass fotografische Einzelbilder stroboskopisch auf eine Leinwand projiziert werden. Zwischen dem einen und dem anderen Einzelbild muss der Film transportiert werden, während des Transports des Filmstreifens muss die Projektion unterbrochen werden, das hat zur Folge, dass wir in der Hälfte der Zeit während der Projektion eines Film-Films im Dunkeln sitzen. Die psychotechnischen Konsequenzen sind an verschiedenen Stellen (z.B. Ute Holl: Kino, Trance & Kybernetik, Berlin 2002) erforscht worden. Das ist mit dem elektronischen Film (Fernsehen) schon anders, vor allem aber mit dem digitalen Film: im postfilmischen Kino gibt es keinen mechanischen Bildtransport mehr, sondern eine framed time, keinen flicker sondern tendenziell eine fortwährende Mutation innerhalb eines feststehenden Frames (siehe: Matthias Wittman, am Anfang war das Blackout,Zeitschrift für Medienwissenschaft 1/2010).

Aufzeichnung

Und auf der Seite der Aufzeichnung: digital aufgezeichnete Filme müssen, insbesondere um in Netz verteilt (und vernetzt) werden zu können, kompromiert werden. Digitales Video, seit es durch die verschiedenen Generationen der mpeg-Algorithmen komprimiert wird, zeichnet zwischen den i-frames (= intra-frames), die das ganze Einzelbild speichern, nur die p-frames (= predictive-coded frames) auf, die nichts als die (Bewegungs-)Differenzen zum letzten i-frame speichern. Eine Minute Empire-State-Building (vorausgesetzt, niemand geht raus, rein oder dran vorbei) sind dann nicht mehr 1500 Einzelbilder, sondern die Anweisung „1500 mal das Bild“. Bis ein Taxi vorbeifährt, das als bewegtes Element im Bild identifiziert wird und das in den p-frames aus den umgebenden i-frames als Objekt mit einem Vektor interpoliert wird. Der heute gebräuchliche zehnte Teil des mpeg-4-Standards H.264 oder mpeg-4 AVC ist in der Kompression noch effizienter und kann unter anderem sowohl innerhalb der i-frames Bildvorhersagealgorithmen anwenden als auch bis zu 16 vorhergehende i-frames in die Interpolation mit einbeziehen. Das hat verschiedene Konsequenzen: zum Einen werden nicht mehr Bewegungsschnitte aneinandergereiht sondern tendenziell innerhalb des Bildfeldes die Unterschiede ineinander gemorpht und damit Gestalten (und perspektivisch ihre Erkennung) adressiert, zum Anderen wird damit das Bild von der Bewegung getrennt: das Grinsen ohne [http://www.youtube.com/watch?v=tYytVzbPky8 Katze].

Filmaufnahmen werden zu einer Live-Simulation des Bildes (falls das noch eines ist) durch Objekte und ihre Vektoren. Und damit stellt sich ein weiterer Zusammenhang zwischen Filmen und Kartografieren her, der die beiden Abbildungstechniken ununterscheidbar macht. Deshalb haben die elektronischen Bilder auch kein hors-champ mehr, wie Deleuze schreibt, und „sind Gegenstand einer fortlaufenden Reorganisation, bei der ein neues Bild aus einem beliebigen Punkt des vorhergehenden Bildes entstehen kann“. Und weiter: „Die Raumorganisation verliert damit ihre privilegierten Richtlinien – allen voran das Privileg der Vertikalen, von dem nach wie vor die Position der Leinwand zeugt – zugunsten eines ungerichteten Raums, der unaufhörlich seine Winkel und Koordinaten verändert, seine Vertikalen und Horizontalen vertauscht. Und selbst die Leinwand, auch wenn sie immer noch vertikal aufgehängt ist, scheint nicht mehr auf die Position des Betrachters zu verweisen, wie dies bei einem Fenster oder auch bei einem Bild der Fall ist, sondern stellt eher eine Informationstafel dar, eine undurchsichtige Oberfläche, auf der die ‚Daten‘ verzeichnet sind. Information tritt an die Stelle von Natur, und die Überwachungszentrale, das dritte Auge, ersetzt das Auge der Natur.“

Damit deutet sich ein vollkommen neues kinematografisches Bild an: Es werden nicht mehr fotografische Bewegungsschnitte (Einzelbilder) aneinandergereiht, sondern die Bewegung vom Körper getrennt wie das Grinsen von der Katze.

ästhetische Strategien

Im Zeitalter der Objekt/Vektor-Bilder setzen Re-Engeneering-Ästhetiken und solche, die die Materialität des Mediums befragen, nicht mehr beim Flackern (wie z.B. Tony Conrad 1965) an, sondern an der Kompression. Etwa mit der Technik des Databending, des Glitch, des Data-Moshing, bei der mit verschiedenen Operationen der Kompressionsalgorithmus überlistet wird und die zu etwas anderem als der Simulation von Wirklichkeit und stattdessen zu einer neuen Art von Malerei, zu Wisch- und Schmiereffekten, zu einem Umbiegen der Vektoren und einem Eigenleben der Artefakte und der Proto-Gestalten der predicted frames genutzt wird. [http://www.youtube.com/watch?v=KS2s_qgl6hE]