Intelligente Störungen
In seiner 1978 in Polen erschienenen Erzählung „Professor A. Donda“ schildert Stanisław Lem die wissenschaftliche Karriere des Kybernetikers A. Donda. Ausgehend von dem kybernetischen Axiom von den drei Erscheinungsweisen der Masse, nämlich Materie, Energie und Information, vertritt Donda die These, dass so wie Materie bei einer kritischen Masse etwa von Uran in Energie übergeht, Information ab einer kritischen Masse (der „Donda’schen Barriere“) in Materie übergehen kann: „Dort, wo Milliarden von Bits waren, entsteht eine Handvoll Atome. Die Zündung der Kettenreaktion wird die Welt mit Lichtgeschwindigkeit durchlaufen und die großen Gedächtnisbanken, die Computer verwüsten; überall, wo die Dichte eine Million von Bits pro Kubikmillimeter überschreitet, entsteht eine äquivalente Anzahl von Protonen – und Leere.“ (3) Donda wurde von der wissenschaftlichen Gemeinde ausgelacht und verstoßen. Wütend zieht er nach Afrika und überzeugt einen Potentaten davon, die leistungsfähigen Supercomputer von IBM zu kaufen, um in ihnen Flüche und Zaubersprüche zu speichern. Quatsch-Information, aber Information, die irgendwann die Donda’sche Barriere übersteigt, und da hat die Welt den Salat: In einer Kettenreaktion verpufft das gesamte gespeicherte Wissen der Welt in eine Handvoll Atome.
8 Bits sind 1 Byte, 1 Millionen Bits also nur 128 KB. Jeder USB-Stick überschreitet die Donda’sche Barriere also um ein sehr viel Vielfaches. Allerdings verweist schon der enorme Stromverbrauch des Internets (1000 Google-Anfragen erzeugen etwa so viel CO2 wie ein Auto auf 1 km Fahrt ausstößt) auf eine Materialität des sogenannten Digitalen, deren Leugnung der unserer Kultur zugrunde liegenden und nicht anders als religiös zu nennenden Vorstellung folgt, dass es „Information“ als materielose Entität überhaupt „gibt“.
Kittler weist in seiner Schrift „Signal – Rausch – Abstand“ (2) auf eine weitere Information-Materie-Verkopplung hin: Die höchste Informationsdichte pro Zeiteinheit ist dann erreichbar, wenn das Frequenzband des Kanals in allen Teilbereichen ausgenutzt wird. Eine der Haupteigenschaften vom Zufallsrauschen besteht darin, über das ganze Energiespektrum verteilt zu sein („Weißes Rauschen“). „Und da das thermische Rauschen, das alle Materien, also auch Widerstände oder Transistoren, nach einer wiederum Boltzmannschen Formel bei Arbeitstemperaturen abstrahlen, ein derart weißes Rauschen ist, sind Information ohne Materie und Materie ohne Information verkoppelt wie die zwei Lesarten eines Vexierbildes.“ (3)
Kommunikation im Angesicht des Rauschens. (4) Das Rauschen des Kanals, das sich wie ein Parasit an das Signal heftet (tatsächlich bedeutet das französische Wort „parasite“ sowohl den Schmarotzer als auch die elektromagnetische Störung), ist das, was vom Signal abgetrennt werden muss, damit das Signal „sauber“ beim Empfänger ankommt. Und das wiederum muss auf der Empfängerseite passieren. Jeder Kommunikationsvorgang besteht also aus einer „Umwandlung von losgeschicktem Signal in (potentiell) gestörtes Signal in rückverschlüsseltes Signal“. (5) Wo aber ist in diesem Dreiecksverhältnis Sender – Kanal (+Störung) – Empfänger Intelligenz zu unterstellen? Was, wenn wie in Kriegssituationen ein Dritter, der Feind, in das Kommunikationsschema tritt (und genau das war der Ausgang Shannons)? Dann wird der Feind zur Störung, denn die Information ist wertlos, wenn sie beim Empfänger angekommen ist: „Die Schwelle, durch deren Überschreiten das Medium erst zur Botschaft, die eigen- und fremdinduzierte Störung zumindest partiell ‚entstört‘ werden kann, liegt (wie bei Shannon) in der Grenzziehung von unerwünschtem und erwünschtem, von feindlichem und freundlichem Empfang.“ (6) Das Signal muss verschlüsselt, also gestört werden, um die Störung zu neutralisieren, und beim Empfänger rückverschlüsselt werden. Auf diese Art und Weise ist in dem Materieteil des Kanals, der sich parasitär an die Information heftet, plötzlich Intelligenz, Absicht, Verhalten. „Genauso machbar ist allerdings die Annahme, daß das bereits codierte Signal von einer feindlichen Intelligenz noch einmal codiert wurde – und zwar um so erfolgreicher und rätselhafter, je weißer es rauscht.“
À propos Intelligenz: Lems Professor Donda macht, indem er die Schwelle zwischen Information und Materie zurückrechnet, den Gottesbeweis: „Wie ist das Weltall entstanden? Explosiv! Das ist das göttliche Rezept: Rückwärts zählen von Unendlich bis Null. Als Er dahin kam, materialisierte sich die Information explosiv – entsprechend der Äquivalenzformel.“
In Bezug auf die narrativen Parameter orientierten wir uns um und begannen, vor allem die inszenierten Kurzfilme weniger als in sich geschlossene diegetische Einheiten zu begreifen, die miteinander zu verknüpfen wären, sondern eher als Knoten eines virtuellen Ganzen, das sich in einem top-down-Prozess in den einzelnen Film-Clips aktualisiert.
Um die paranoiden und paranormalen Ausfransungen filmischer Diegesen zu nutzen, haben wir die Figur des paranoiden Polizisten Günther konstruiert, der einer Verschwörung in Stuttgart hinterher jagt.
Günther zu Steve: „Die Kompressionsalgorithmen legen reine DIFFERENZ-VERLÄUFE an! Die werden dadurch konstruiert in den MPEG-Kompressionsalgorithmen, und ICH HAB DIR JA GESAGT, mit dem Wasser, wie das ist, das WASSER, die ganze Scheiße mit den Chemtrails und so weiter, die Strahlung mit dem Wasser, was die kontrollieren wollen, die wird sichtbar in diesem Bereich, in der digitalen Aufzeichnung der Strahlung, und wenn wir die KOMPRESSIONSALGORITHMEN gegen die Strahlung selber umkehren! Das machen wir! Wir filmen das Wasser!“
Einzelnachweise
(1) Stanisław Lem, Sterntagebücher, Frankfurt a. M. 2001, S. 427-460, hier: S. 450.
(2) Friedrich Kittler, „Signal – Rausch – Abstand“, in: ders., Draculas Vermächtnis. Technische Schriften, Leipzig 1993, S. 161-181.
(3) Ebd., S. 165.
(4) So der Titel eines der Gründungstexte der Informationswissenschaft. Claude Shannon, „Communication in the presence of noise“, in: Proceedings of the Ire 37 (Jan. 1949), no.1, S. 10-21.
(5) Erhard Schüttpelz, „Frage nach der Frage, auf die das Medium die Antwort ist“, in: Signale der Störung, hrsg. v. Albert Kümmel u. Erhard Schüttpelz, München 2003, S. 15-29, hier: S. 25.
(6) Ebd., S. 22.
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